11.617 Publikums- und Spezialfonds gab es laut Deutschem Fondsverband (BVI) zum Jahresende in Deutschland. In Worten: elftausendsechshundertsiebzehn! Ende der 1990er-Jahre waren es gerade mal halb so viele. Schon damals fiel die Wahl schwer. Doch heute sehen sich Anleger mit einer schier nicht zu bewältigenden Menge an Investmentmöglichkeiten konfrontiert: Aktien-, Rohstoff- oder Immobilienfonds? Absolute Return, Misch- oder Indexfonds? Inländischer, europäischer oder weltweiter Fonds? „Die Auswahl an Investmentfonds jedweder Bestimmung ist kaum überschaubar“, konstatiert das Börsenlexikon der FAZ zu Recht.
Die Qual der Wahl ist Alltag in der Finanzanlage und nicht nur anstrengend für Investoren. Sie kann sich auch nachteilig für Fondsanbieter auswirken. Denn ab einem gewissen Punkt verringert mehr Auswahl die Anlagebereitschaft. „Paradox of choice“ nennen Psychologen dieses Phänomen.
Zum ersten Mal aufgezeigt wurde das Auswahl-Paradox 2000 von US-Psychologen mit einem Feldexperiment in einem Supermarkt. Kaki, Granatapfel, Erdbeer-Basilikum: 24 exotische Marmeladensorten präsentierten die Forscher einer Gruppe von Kunden. Die Studienteilnehmer konnten den süßen Brotaufstrich kosten und bei Wunsch mit einem Rabattcoupon günstiger als üblich erwerben. Viele Supermarktbesucher kamen dem Aufruf nach und probierten die Produkte. Drei Prozent kauften schließlich auch ein Gläschen. Eine andere Gruppe von Kunden konnte ebenfalls Marmeladen testen und günstig erwerben, aber ihnen wurden nur sechs Produkte zur Auswahl präsentiert. Obwohl die Wahrscheinlichkeit geringer war, dass der individuelle Geschmack einzelner Kunden getroffen wurde, griff diese Gruppe nicht weniger, sondern häufiger zum Geldbeutel: Jeder Dritte erwarb eine der Marmeladensorten.
„Hätte ich mich doch anders entschieden“
Zu große Auswahl bedarf zu großer Anstrengung beim Bewerten der Alternativen. Das ist eine Erklärung für das Weniger-ist-Mehr-Ergebnis. Eine andere lautet: Bei vielen Wahlmöglichkeiten gibt es auch mehrere Alternativen, die attraktiv erscheinen und infrage kommen. Da man sich aber nur für eine entscheiden kann, vermisst man schon antizipatorisch die positiven Aspekte des nicht gewählten Produktes. Und statt die Wahl später zu bedauern, wählen viele Menschen lieber gar nichts aus. Sie entscheiden, sich nicht zu entscheiden.
Das Auswahl-Paradox wurde nicht nur in Experimenten entdeckt, sondern auch im wirklichen Leben nachgewiesen: Wenn Arbeitnehmer in den USA sich für einen Rentenfonds entscheiden sollen, sinkt die Quote der Arbeitnehmer, die überhaupt eine Altersvorsoge wählen, um zwei Prozent pro zusätzlichen zehn Fonds mehr Auswahl, so eine Studie.
Ab welchem Punkt positive Vielfalt in Überforderung übergeht und der Umsatz eines Unternehmens eher sinkt denn steigt, weiß niemand genau. Aus evolutionspsychologischer Perspektive ist eigentlich schon alles über drei für das menschliche Gehirn ungewöhnlich viel. Bei Schnellimbissen bevorzugen Konsumenten sechs Auswahl-Möglichkeiten pro Speisekartenkategorie (zum Beispiel Vorspeise, Fleischgericht, Fischgericht), bei feineren Restaurants sieben bis zehn Menüalternativen, so eine Befragung aus England. Als chinesische Konsumenten bei einer Studie aus einer unterschiedlich großen Auswahl an Maissaft wählten sollten, lag der kritische Wert bei 21.
Dennoch: Vielfalt ist gefragt
Weniger ist manchmal mehr. Doch gilt das wirklich auch für Fonds? Studien aus verschiedenen Bereichen konnten zeigen, dass das Auswahlparadox nicht gilt, wenn erfahrene Personen und Personen, die bereits eine relativ ausgeprägte Präferenz haben, angesprochen werden. Beispielsweise entschieden sich in einem Experiment mit amerikanischen Studenten 86 Prozent der investmentunerfahrenen Teilnehmer für eine Anlage, wenn sie nur fünf Fonds zur Auswahl bekamen. Bei 50 Fonds war die Entschlossenheit geringer: 79 Prozent investierten. Ganz anders bei den erfahrenen Entscheidern: Sie legten bei der großen Auswahl wesentlich häufiger Geld an als bei kleiner Auswahl (81 Prozent gegenüber 67 Prozent).
Trotzdem: Die Anbieter sollten sich bei jedem neuen Finanzprodukt fragen, ob es wirklich nötig ist und der Ertrag den Aufwand übertrifft. Laut einem Artikel im Harvard Business Review können Unternehmen ihre Einnahmen um bis zu 40 Prozent erhöhen, wenn sie die Produktvielfalt verringern. Auch aus Kommunikations- und Marketinggesichtspunkten ist ein klar durchdachtes Produktangebot den Zielgruppen leichter zu vermitteln als eine überbordende Vielfalt an Kleinstfonds, die sämtliche Anlagestile abdecken.
Anlass für einen Frühjahrsputz ist häufig vorhanden: Nicht wenige Fondsgesellschaften haben sogar Dubletten im Portfolio. Die sind oft historisch gewachsen: Entweder weil jeder Fondsmanager sein eigenes Investmentreich beansprucht oder weil bei der Übernahme eines Wettbewerbers das neue, gemeinsame Angebot nicht konsequent bereinigt wurde. Doch wer braucht wirklich zwei Europafonds, die beide nach Value-Gesichtspunkten investieren? Auswahl ist also gut, verwirrende Vielfalt aber nicht.