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Media & Influencer Relations

Von Giftkisten und unmoralischen Angeboten

Ich bin kein Freund von zahlreichen Unterordnern im Outlook-Postfach. Denn in der anschwellenden E-Mail-Flut bleibt am Ende doch keine Zeit, die Nachrichten da vernünftig einzusortieren. Die wenigen Ordner, die ich eingerichtet habe, dienen eher dazu, einige besondere Mails aus dem Strom der Kommunikation herauszufischen und sich ihrer beizeiten zu erinnern. Seit einem Jahr besitze ich zum Beispiel ein Fach namens „Giftkiste“.

Dort landen die unmoralischen Angebote von Medien, die ihre journalistische Freiheit zu Grabe tragen, indem sie eine Nennung im redaktionellen Umfeld gegen Geld anbieten. Nehmen wir als Beispiel etwa die Mediadaten eines recht bekannten deutschen Börsenblogs. Dort finden sich neben den Preisen für klassischen Werbebanner völlig unverblümt auch Angebote „zur Einbindung Ihrer Produkte in reguläre Artikel.“ Das kostet dann je nach Nennung zwischen 90 und 120 Euro. Gerne auch mit direkter Verlinkung auf die Produktwebseite. Ein echtes Schnäppchen.

Die zunehmende Tendenz, Werbebotschaften als redaktionellen Inhalt zu tarnen, betrifft dabei natürlich nicht nur Online-Medien. So fragte etwa ein europäisch ausgerichtetes Wirtschaftsjournal vor einigen Wochen schriftlich einen unserer Kunden – eine Gesellschaft aus der Immobilienbranche – zu „Ausblick und Zukunft ihres Unternehmens“ an. Im Schreiben wird netterweise versichert: „Das Interview, die Texterstellung und -bearbeitung sowie Layoutentwicklung sind für Sie nicht mit Kosten verbunden.“ Im nächsten Satz gibt es gleichwohl eine kleine Einschränkung: „Die veröffentlichten Abbildungen werden Ihnen mit Euro 12,95 Farbe je mm Höhe und Spalte berechnet.“ In der Praxis ergeben sich dann daraus Kosten von rund 10.000 Euro.

Eher ein Fall für den Rechtsanwalt als für den Presserat

Nun kann man natürlich einwenden, dass dieses Angebot einer nicht unbedingt in der Medien-Champions-League anzusiedelnden Publikation wohl eher ein Fall für den Rechtsanwalt als für den Presserat ist. Allerdings erreicht die publizistische Grauzone mittlerweile auch Qualtätsmedien. Stichpunkt ist hier „native Advertising“. Hinter diesem schick klingenden Anglizismus verbirgt sich der Ansatz, Anzeigen zu entwickeln, die dem redaktionellen Umfeld des jeweiligen Mediums möglichst angepasst sind. Das ganze Unterfangen zielt darauf ab, Redaktion vorzutäuschen, wo Anzeige drin ist. Nun ist gegen Werbung mithilfe von redaktionell aufbereitetem Content grundsätzlich nichts einzuwenden. Schließlich sind gerade im Finanzmarketing erläuternde Texte nicht selten sinnvoller als bunte Bilder mit kurzatmigen Slogans. Allein: Derartige Formate müssen bei aller redaktionellen Machart auch als Anzeige kenntlich gemacht werden. Leider ist dies nicht immer der Fall.

Die Erosion von Anzeigen- und Vertriebserlösen lässt so manche Hemmschwelle fallen. Selbst bei Beilagen von seriösen Medien heißt es mitunter: „Beitrag nur gegen Geld“. Verkaufen die Medien das wichtigste Gut, das sie haben: ihre Unabhängigkeit? Gerald Baker, Chefredakteur des Wall Street Journals, hat in einem Interview mit dem Spiegel im April die damit zusammenhängende Gefahr gut auf den Punkt gebracht. „Auf der Suche nach neuen Einnahmen könnten wir der Versuchung erliegen, die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung zu verwischen. Wenn wir das täten, würden wir Glaubwürdigkeit und Leser verlieren.“  Ein sich selbst verstärkender Prozess und ein weiteres Mediensterben wären die Folge. Wer zahlt schon freiwillig für eine redigierte Ansammlung von Werbebotschaften? Ernsthafter Journalismus wäre letztlich – online oder offline – nur noch staatlich subventioniert überlebensfähig. Über die Unabhängigkeit dieses staatlich finanzierten Journalismus lässt sich allerdings auch trefflich streiten.

Die Pressefreiheit ist eine wichtige Errungenschaft in modernen demokratischen Staaten. Bei Artikel 5 des Grundgesetzes dürften die Verfasser jedoch vor allem den Schutz der Meinungsfreiheit vor staatlicher Einflussnahme im Kopf gehabt haben.

Verliert die „vierte Macht im Staat“ ihre Unabhängigkeit?

Dass die „vierte Macht“ im Staate in die Gefahr gerät, selber ihre Unabhängigkeit und damit auch ihre Machtposition in Gefahr zu bringen, ist indes eine neuere Entwicklung. Sicherlich müssen sich auch Verantwortlichen auf Seiten der Kommunikation die Frage stellen, welchen Anteil sie an dieser Entwicklung haben. Wer als Berater seinen Kunden empfiehlt, sich mit gekauften redaktionellen Inhalten oder dubiosen „Medienkooperationen“ Gehör zu verschaffen, ohne diese als Bezahlformat zu kennzeichnen, mag damit kurzfristig Erfolge feiern, trägt letztlich aber zum eigenen Bedeutungsverlust bei.

Natürlich steht hinter der Entwicklung die Frage nach der Finanzierbarkeit des teuren Gutes Qualitätsjournalismus. Wenn immer weniger Menschen bereit sind, dafür Geld auszugeben, helfen die schönsten Appelle an die wichtige Rolle der Medien in der Demokratie wenig. Das Handelsblatt ist nicht die Caritas. Im Printbereich bleibt zu hoffen, dass Medien, die mit Qualität ihre Leser binden, weiter Schule machen. Online ruht die Hoffnung indes auf Bezahlschranken. Dann müssten aber digitale Leitmedien wie Spiegel Online (das, nebenbei bemerkt, gerade erst von Stefan Niggemeier wegen seines allzu lockeren Umgangs mit native Advertising kritisiert wurde) tatsächlich mit von der Partie sein und die gelieferte Qualität stimmen. Ich jedenfalls wäre gerne bereit zu zahlen. Allein schon deshalb, um den Ordner „Giftkiste“ mangels neuem Input zu löschen.

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