„Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.“ Geschrieben hat diese Sätze der Stadtplaner Georg Franck in seinem 1998 veröffentlichten Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit. Dabei geht er von der Konstellation eines, wie er es nennt, „mentalen Kapitalismus“ aus, der sich weitgehend von einer Fixierung auf materielle Produktion und Konsum gelöst hat. Aufmerksamkeit ist für ihn ein Wert wie Geld, ja, er ist mehr wert als Geld. Das ist ein spannender Gedanke – und war zur Zeit seiner Entstehung sehr prophetisch. Denn den TV-Knast Big Brother mit seinen Instant-Prominenten gab es erst 1998, Realitystars wie Paris Hilton oder Kim Kardashian, die Millionen Fans rund um den Globus mit täglichen Updates über ihr Konsumverhalten oder ihr Liebesleben unterhalten, waren noch nicht im Geschäft.
Kim Kardashian ist die Königin der Aufmerksamkeits-Ökonomie. Denn ihre Prominenz ist durch nichts begründet als durch die Aufmerksamkeit, die man ihr bereitwillig schenkt. 49 Millionen Fans folgen ihr auf Instagram, 35 Millionen auf Twitter (Barack Obama hat gerade einmal 4,6 Mio) und bewundern ihre sorgfältig retuschierten Selfies oder ihre neuesten Einkäufe. Nach dieser Art Ruhm streben alle, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, seien es Firmen, Journalisten, Blogger oder ganz normale User. Sie sind auf der Jagd nach „Gefällt mir“ auf Facebook, Youtube und Instagram, Sternchen auf Twitter oder Pinterest und Kommentaren zu ihren Blogbeiträgen und Artikeln. Die Stars wie Kim Kardashian geben ihr Privatleben auf, veröffentlichen intimste Einblicke, um sich der Fanliebe weiter zu versichern. Für viele lassen sich die Likes in bare Münzen verwandeln, denn Consumer-Brands nutzen die Aufmerksamkeit, um für ihre Produkte werben zu lassen und zahlen auch unbekannteren Bloggern schon mal 300 Euro für ein (Werbe-)Bild auf Instagram.
Maximale Öffnung garantiert maximalen Ruhm
Es gibt viel, was Firmen – auch die der Finanzbranche – von einer Kim Kardashian lernen können. Nämlich, dass maximale Öffnung maximalen Ruhm garantiert. Je weniger ich von mir preisgebe, desto geringer sind die Aufmerksamkeit und das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird. Natürlich will niemand ernsthaft Selfies von Bankvorständen sehen. Aber die User wollen gerne die Menschen kennenlernen, die hinter einer Bank stehen, die Gedanken und die Maximen, die ihr Handeln bestimmen. Freundlichkeit, Kommunikation und wohldosierte Transparenz schaffen Nähe und Vertrauen. Die Einstellung, sich dem Internet und den sozialen Netzwerken komplett zu verweigern, Kommentare abzuschalten und Dialogen aus dem Weg zu gehen, kann sich dagegen bitter rächen. Der Grundsatz gilt nach wie vor: Die Menschen im Netz reden so oder so über eine Firma oder bestimmte Themen. Die Frage ist, ob man beeinflussen kann, was sie reden und ob man nicht lieber eine Stimme in diesen Diskussionen hat.
Denn Firmen können von dieser Aufmerksamkeitsökonomie profitieren. Die Liebe und die Aufmerksamkeit im Netz haben Apple ganz nach oben getragen. VW stünde nach dem Abgasskandal ohne die Treue seiner Fans vermutlich noch wesentlich schlechter da als ohnehin schon. Disruptive Innovationsführer wie Uber oder Airbnb sind durch das Netz groß geworden.
Deswegen ist es sinnvoll, Kunden ernst zu nehmen und für ihre Fantreue wiederum mit Aufmerksamkeit zu bedenken. Zugegeben, es ist ein lang andauernder Prozess. Und extrem strenge Complianceregeln machen ihn nicht einfacher. Aber es lohnt sich, Arbeit in die Kundenbeziehungen online zu investieren. Das bedeutet, auf Facebook und Twitter in den Dialog zu gehen, Kunden und Journalisten nach ihren Wünschen zu befragen, Antworten auf gestellte Fragen mit „Likes“ zu bedenken, wichtige Redakteure und Blogger zu retweeten – einfach das Feedback zu beachten und wiederum Feedback zu geben. Dieser Aspekt ist ein wesentlicher – aber meist übersehener – Bestandteil der Nutzung der Sozialen Netzwerke. Es geht um mehr als um Information. Es geht um Austausch gegenseitiger Beachtung. Dass die Kunden das eigene Unternehmen wertschätzen und sich wertgeschätzt fühlen, ist für Banken genauso wichtig wie für Versicherungen, Automarken oder Telekommunikationsunternehmen. Die Investition in Aufmerksamkeit ist ein gutes Geschäft.
